China als Werkbank und Absatzmarkt – Europa im Taumel zwischen Globalisierung und Relokalisierung

81. Führungsgespräch | April 2023

Angesichts des Angriffskrieges von Russland gegen die Ukraine seit Februar 2022 zeichnen sich grundlegende Veränderungen in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen ab.

Bereits im Rahmen des 80. Führungsgesprächs der Wissenschaftlichen Gesellschaft für marktorientierte Unternehmensführung wurden die Zeitenwende und die Entstehung einer neuen Weltordnung thematisiert. Durch die entstandene Konfliktsituation sind die Folgen der wirtschaftlichen Abhängigkeit von Deutschland und der Europäischen Union gegenüber Russland deutlich zu Tage getreten. Durch die enge Verbindung zwischen Russland und China entsteht eine Allianz, die ihren Machtanspruch gegenüber dem Westen und insbesondere gegenüber den USA wie auch Europa immer deutlicher zeigt.

Es bestehen eine Vielzahl von Abhängigkeiten zwischen Europa und China, was die zentrale Frage aufwirft: Ist die Wirtschaft in Deutschland auf eine Konfliktsituation mit China hinreichend vorbereitet? Diese Frage wird seit 2022 immer häufiger adressiert. Viele Unternehmen haben sich jedoch nicht angemessen auf die Situation vorbereitet.

Um diese Thematik zu diskutieren, lud die Wissenschaftliche Gesellschaft für marktorientierte Unternehmensführung ihre Mitglieder sowie ausgewählte Gäste im April 2023 nach Frankfurt ins Jügelhaus ein.

Information Warfare: Eskalationsszenarien in der globalen Vernetzung

Einleitend gab der in Taiwan lebende Tech-Blogger und Gründer, Sascha Pallenberg, einen Impuls zu Eskalationsszenarien in der globalen Vernetzung. Sascha Pallenberg unterstreicht die potenzielle Verletzlichkeit von öffentlichen Infrastrukturen gegenüber Hackerangriffen. Solche Angriffe haben das Potenzial, ein beträchtliches Maß an Chaos zu entfachen. Sascha Pallenberg kritisiert die Veralterung vieler Infrastrukturen im industriellen Bereich, die heute vielfältige Angriffsflächen bieten würden. Er verdeutlichte, dass Konflikte zwischen Ländern heute mehr und mehr durch digitale Hackerangriffe auf kritische Infrastrukturen ausgetragen werden, bevor es zu physischen Auseinandersetzungen kommt.

Europas Abhängigkeiten: China als Werkbank und Absatzmarkt – Wie lange noch?

Gesprächspartner eines Kamingesprächs mit dem Titel „China als Werkbank und Absatzmarkt – Wie lange noch?“ waren Andreas Scheuer, Bundesminister a.D., MdB sowie Präsident der Asienbrücke – Euro-Asian-Initiative, und Prof. Jin-Suk Kim von der Seoul School of Integrated Sciences & Technology. Sie diskutierten unter Moderation von Astrid Frohloff die komplexen Beziehungen zwischen China und dem Westen, mit besonderem Fokus auf die Auswirkungen auf deutsche Unternehmen. Andreas Scheuer unterstrich die Bedeutung eines ausgewogenen Verhältnisses zu China und anderen asiatischen Staaten, um die Unabhängigkeit und Widerstandsfähigkeit Europas zu stärken und betonte, dass Deutschland trotz der Herausforderungen durch chinesische Investitionen und den Inflation Reduction Act in den USA eine diversifizierte und unabhängige Strategie verfolgen müsse. Prof. Jin-Suk Kim ergänzte diese Perspektive, indem sie Südkorea als Beispiel für ein Land vorstellte, das erfolgreich zwischen den USA und China balanciert und unterstreicht die Bedeutung von Diversifizierung und Technologieinvestitionen für die Unabhängigkeit. Beide Gesprächspartner diskutierten die möglichen Risiken einer Eskalation in Taiwan und die Notwendigkeit für Deutschland und andere westliche Länder, ihre technologische und wirtschaftliche Position zu stärken, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können. Dabei wurde auch die Bedeutung von Kooperationen innerhalb Europas sowie mit asiatischen Partnern betont, um eine kollektive Stärke gegenüber China zu entwickeln und gleichzeitig die eigene Wirtschaft vor Erpressbarkeit durch Abhängigkeiten zu schützen.

Konflikt oder Kooperation? – Zukunftsszenarien zum Verhältnis zwischen Europa und China

Am zweiten Tag des 81. Führungsgesprächs standen die Beziehungen zwischen China, der EU und Deutschland im Mittelpunkt insbesondere im Hinblick auf strategische Abhängigkeiten und deren Risiken und Chancen. Einleitend moderierte Prof. Dr. Manfred Kirchgeorg ein Panel zum Thema „Fakten & Szenarien: Konflikt oder Kooperation? – Zukunftsszenarien zum Verhältnis zwischen Europa und China“. Dies wurde mit einem Impulsreferat von Sebastian Weise, Leiter Bereich Digitale Demokratie, Konrad-Adenauer-Stiftung, eröffnet. Er beleuchtete die wirtschaftlichen Verflechtungen und die Rolle Chinas als Handelspartner, insbesondere in den Bereichen der Schlüsseltechnologien und Infrastruktur. Dr. Mikko Huotari, Direktor des Mercator Institute of China Studies, und Dr. Christian Ketels, Institute for Strategy and Competitiveness, Harvard Business School, diskutierten die Notwendigkeit, Abhängigkeiten differenziert zu betrachten, die strategischen Herausforderungen durch Chinas Industriepolitik und die Bedeutung eines effektiven Risikomanagements. Die Dringlichkeit, sowohl aktuelle als auch langfristige strategische Herausforderungen anzugehen, wurde ebenfalls betont. Zukünftige Szenarien der Beziehungen wurden skizziert und diskutiert, wobei der Schwerpunkt auf Konfliktprävention, Wertediskursen und strategischen Anpassungen lag. Das Szenario eines kurzfristigen Konfliktes zwischen China und Europa wurde als unwahrscheinlich eingestuft. Ebenso wie ein Alternativ-Szenario, welches als „New Harmonie“ – zwischen China und Europa – bezeichnet wurde. Die Bedeutung eines klugen Umgangs mit globalen Herausforderungen, insbesondere in Bezug auf China, wurde als entscheidend für die Zukunft Europas und Deutschlands hervorgehoben.

Strategieoptionen für Konfliktszenarien

Unter Leitung des Vorstandsvorsitzenden der Wissenschaftlichen Gesellschaft, Dr. Jürgen Meffert, tauschten sich in einem weiteren Panel Führungspersönlichkeiten aus der Unternehmenspraxis zu strategischen Handlungsoptionen im Fall von Konfliktszenarien zwischen China und Deutschland aus. Themen wie Cybersicherheit, 5G-Technologie, Lieferketten und die Abhängigkeit der deutschen Automobilindustrie vom chinesischen Markt wurden adressiert. Michael Hagspihl (Deutsche Telekom AG) betonte die konstante Bedrohung durch Cyberattacken und die Bedeutung von Investitionen in Sicherheit. Gleichzeitig hob er die Wichtigkeit von 5G und einer Multi-Vendor-Strategie hervor, ohne dabei die Kooperation mit chinesischen Technologieunternehmen auszuschließen. Dr. Stephan Wöllenstein (Volkswagen AG) beleuchtete die starke Präsenz von VW in China und die strategische Bedeutung des Marktes für den Konzern, trotz möglicher Risiken in Konfliktfällen. Des Weiteren thematisierte Erich Staake, als ehemaliger Geschäftsführer des Duisburger Hafens und Mitglied der Logistic Hall of Fame, die Effizienz der deutschen Logistik und die Relevanz funktionierender Supply Chains mit China. Darüber hinaus hob Werner Dornscheidt (ehem. CEO der Messe Düsseldorf) die erfolgreiche Zusammenarbeit der Messe Düsseldorf und China hervor und betonte, dass in Verhandlungen insbesondere Ehrlichkeit, Respekt und Vorbereitung von zentraler Bedeutung seien. Insgesamt wurde die wirtschaftliche Bedeutung Chinas und die Notwendigkeit eines ausgewogenen Umgangs mit Risiken und Chancen in der globalen Wirtschaftslandschaft verdeutlicht.

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