Medienumbruch –
Märkte, Macht und Verantwortung
79. Führungsgespräch | Oktober 2021
In den letzten vier Jahrzehnten hat sich die Wissenschaftliche Gesellschaft für marktorientierte Unternehmensführung mehrfach mit den grundlegenden Veränderungen der Medienlandschaft beschäftigt. Zum Anfang dieses Jahrzehnts zeichnet sich erneut ein Umbruch ab. Eine weitere Veränderungswelle rollt auf die Medienanbieter zu. Digitalisierung, Skalierung, Fake News, Vertrauensverlust, Macht der Sozialen Medien und Auftritte neuer Medienplayer adressieren Facetten, die in ihrem Zusammenwirken die Dynamik von Zukunftsszenarien bedingen.
Folgende Fragen wurden beim 79. Führungsgespräch aus unternehmerischer, wissenschaftlicher und politischer Perspektive diskutiert und beantwortet:
- Was sind Treiber des erneuten Umbruchs der Medienlandschaft und welche Medienformen werden sich in Zukunft durchsetzen?
- Wie beeinflusst das Wachstum der Sozialen Medien die Rollen und Funktionen der etablierten Medienanbieter?
- Welche Auswirkungen hat der Medienumbruch auf bestehende und neue Content-Produzenten und die Ausrichtung von Medieninhalten?
- Wie ist es um die Glaubwürdigkeit gegenüber unterschiedlichen Medienformen gestellt und welche Zukunftserwartungen haben Nutzer an die Medien und Journalisten?
- Wie ist es um die gesellschaftspolitische Verantwortung der Medien als 4. Macht bestellt und welche Konsequenzen ergeben sich für den Journalismus und die Medien in der Gesellschaft?
Für einen Faktencheck hat die Wissenschaftliche Gesellschaft in einem Projekt eine Vielzahl von Medienstudien analysiert und zur Vorbereitung des Führungsgespräches eine repräsentative Nutzerbefragung in Deutschland bei 2.300 Bundesbürgern durchgeführt. Hierüber wurde die Nutzungsintensität und die Glaubwürdigkeit von unterschiedlichen Medienformen erfasst. Hochkarätige Gesprächsrunden beschäftigten sich anschließend mit dem Umbruch der Medienlandschaft und die zu erwartenden Implikationen für Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Zentrale Ergebnisse der Diskussionsrunden und Präsentationen werden im Folgenden vorgestellt.
Medienlandschaft im größten Umbruch seit der Einführung des Privatfernsehens
Den Auftakt des 79. Führungsgespräches bildete der Vortrag von Prof. Nico Hofmann, Geschäftsführer der UFA GmbH, über die Thematik der Medienlandschaft im größten Umbruch seit der Einführung des Privatfernsehens. Er hob hervor, dass bereits in zehn Jahren die meisten Medien nicht mehr so funktionieren, wie es heute der Fall ist und es daher ein Umdenken der Analogen benötige. Trotz stabiler Nutzungsdauern nehme nämlich das Auseinanderdriften der Generationen immer extremere Züge an. Durch die Verlagerung auf immer mehr Kanäle, insbesondere die Streamingdienste im Internet, nehme die Konzentration auf den althergebrachten Kanälen immer mehr ab. Diese Digitalisierung sei nicht nur im TV, sondern auch bei Musik, Büchern, Zeitungen etc. ersichtlich und mache den Generationswandel umso deutlicher. Die Anpassung an diese Verschiebung sei somit fundamental, da die Abwanderung zu digitalen Alternativen bereits heute bei konstant 30 % im Jahr liegt.
Chancen und Risiken für Content-Produzenten im globalen Wettbewerb
Zum Kamingespräch des 79. Führungsgespräches versammelten sich vier Content-Produzenten der Medienbranche, um über Chancen und Risiken im globalen Wettbewerb zu diskutieren. Henning Tewes von RTL sprach darüber, dass es den Medienwandel bereits seit über 20 Jahren gebe, dieser durch Corona und, starke Streamingdienste und soziale Medien jedoch gerade jetzt immer mehr an Fahrt aufnehme. Dennoch sei das Fernsehen noch nicht verloren, so Henrik Pabst von ProSieben, man müsse sich nur mit den Produktionen abgrenzen. Aus Richtung der beiden anwesenden Streamingkonzerne Netflix und Amazon Prime Video kam der Ratschlag, dass sich analoge Programme mehr auf die Onlinesparte konzentrieren sollten. Der Fernseher würde immer mehr zu einem Auslaufmodell werden, gerade aus Sicht der jungen Generationen. Durch diesen Generationsbruch müsse man momentan feinfühlig bei der Auswahl der Programme sein. Gerade jetzt sei ein diverses Bild sehr wichtig. Alle Zuschauer müssen sich wiederfinden können und Randgruppen inkludiert werden.
Morning Briefing – Ein kritischer Blick auf die Medienlandschaft
Gabor Steingart präsentierte in seinem bekannten Morning Briefing-Format die Rolle der Journalisten in einer sich wandelnden Medienwelt. Es sei kontraproduktiv, dass immer häufiger eigene Meinungen in Berichterstattungen einfließen würden, obwohl Objektivität zentral wäre. Die Aufgaben als „Wirklichkeitsforscher“ müssten wieder mehr in den Fokus der Journalisten rücken. Insgesamt sieht Steingart im Gesamtbild eine immer mehr nach links rückende Berichterstattung. Journalisten fehle vor allem auch die Fachexpertise bei Grundlegenden Sachverhalten wie bspw. der Funktionsweise der Wirtschaft. Der Grund dafür sei vor allem, dass der Drang Aufsehen zu erzeugen vor jenen gehen würde, Hauptthemen aufzunehmen und als Navigation für die Bürger zu dienen. Durch die Darstellung vielfältigerer Lebenswelten könne auch das Misstrauen der Bürger den Medien gegenüber abgebaut werden. Zudem sei die Branche in Deutschland hinsichtlich Innovation fast erstarrt. International könne sie schon lange nicht mehr mithalten. Es sei daher von Wichtigkeit jetzt neue Konzepte zu entwickeln, da es genügend Investoren dafür gebe.
Nutzerperspektive: Glaubwürdigkeit der Medien auf dem Prüfstand
Bei der diesjährigen wissenschaftlichen Betrachtung präsentierte Prof. Dr. Manfred Kirchgeorg die Ergebnisse einer Studie welche vor dem Führungsgespräch zur Glaubwürdigkeit von Medien und Journalisten, sowie zur Mediennutzung durchgeführt wurde. Es wurde deutlich, dass sich ein klarer Generationeneffekt in der Medienlandschaft abbildet. Insbesondere bei der Nutzung des konventionellen Fernsehens und bei Streamingdiensten. Bürger sehen den Einfluss der Medien besonders bei der Gesellschaft als Ganzes. Junge Teilnehmende schätzten zudem den Einfluss der Medien auf sie als erheblich ein. Trotz dessen wurden die meisten konventionellen Medien als relativ glaubwürdig eingeschätzt. Hierbei zeigte sich dennoch auch wieder eine Lücke zwischen den Generationen. Einig waren sich die Befragten bei den Aufgaben der Journalisten, welche vor allem eine neutrale Informations- und Beobachtungsfunktion einnehmen sollten. Die finale Betrachtung der öffentlich-rechtlichen Medien konnte nur als diffus bewertet werden. Die jüngste Befragungsgruppe könnte am ehesten darauf verzichten. Abschließend hob Prof. Dr. Manfred Kirchgeorg die Glaubwürdigkeitslücke hervor, welche dazu führe, dass keiner Medienart vollkommen vertraut werden würde.
Unternehmensperspektive: Wie beeinflussen innen- und außengerichtete Medien die Unternehmensführung?
Für die Unternehmenssicht auf den Medienwandel begrüßte Dr. Tonio Kröger drei CEOs aus verschiedenen Branchen. Auch bei dieser Diskussionsrunde wurde deutlich, dass es den Medien an Innovationsfähigkeit fehle, es jedoch aus unternehmensstrate-gischer Sicht auch wichtigere Themen als die Medien gäbe. Für Klaus Papenburg von der Papenburg AG sehe dies im Osten jedoch differenziert aus. Es sei beängstigend die Radikalisierung der Bürger zu verfolgen während die Medien vor Ort in Schockstarre verharren. Es sei daher umso wichtiger die ländliche Bevölkerung abzuholen. Hierbei sei auch die Wirkung der Firmen nach außen wichtig. Alle Teilnehmenden waren sich einig, dass es fatal wäre, Aussagen der Medien über das eigene Unternehmen nicht ernst zu nehmen. Das Zeigen von Präsenz in Bezug auf das Erreichen und Abholen von Mitarbeitern sei hier zentral. Hierbei gelte es die Medien mit einzubinden und zu informieren. Laut Carsten Knobel von Henkel würden die kommenden 10 Jahren entscheidend sein. Die gravierendsten Fehler würden dabei aufgedeckt werden und es komme darauf an, wie diese dann aufgegriffen werden. Es sei an der Zeit, dass die Medien wieder größere Verantwortung übernehmen und dem Qualitätsjournalismus mehr Beachtung schenken müssten.
Haben die Medien ihre Rolle als 4. Macht in der Demokratie verspielt?
Der Autor und ehemalige stellvertretende Chefredakteur bei Stern, Thomas Ammann, sprach über die Medien als eine Säule der Demokratie. Er gab seine Sorge preis, dass durch immer mehr Einsparungen in der Branche der Satz „Content ist King“ an Wichtigkeit verliere, was auch mit dem Existenzkampf der Autoren und Journalisten Hand in Hand ginge. Dem Journalismus würde die Rolle des „Gate Keepers“ immer mehr entgleiten, da jeder Content produzieren könne. Die Gefahr hierunter: Falschinformationen und Halbwissen. Die Herausforderungen, die zu fokussieren seien, sind dabei die Sicherung der Glaubwürdigkeit der Medien, die Handhabung des Zielkonflikts zwischen Berichterstattung und Aktionismus, sowie die Begegnung des massiven Kompetenzverlustes der Medien bei der Berichterstattung und des Wertverlustes. Die größten Gegenspieler seien hierbei die sozialen Medien, welche durch gezielte Filterung der Informationen einen Hauptanteil an der Lenkung der Nutzer hätten. Mit Blick auf den Glaubwürdigkeitsverlust der Medien präsentierte Ammann einige Daten, welche die vorgetragenen Studienergebnisse von Prof. Kirchgeorg gut ergänzten. Gemäß einer Langzeitstudie werden die öffentlich-rechtlichen Medien im oberen und die sozialen Medien im unteren Bereich der Glaubwürdigkeitsskala eingestuft.
Gesellschaftspolitische Verantwortung der Medien – Verlässt die 4. Macht die Bühne oder eröffnen sich neue Zukunftsoptionen?
Die finale Gesprächsrunde befasste sich mit der Zukunft der scheinbar geschwächten vierten Macht. Auch hier wurden der Haltungsjournalismus und der Mangel an Objektivität als zentrales Problem aufgegriffen. Prof. Dr. Norbert Bolz warf ein, dass Zuschauer bzw. Leser, meist sofort auf diese Meinung anspringen, da sie praktisch mitgeliefert werden würde. Thomas Amman sehe hier die mangelnde Diversität in den Redaktion als einen Grund. Mit dieser könne man der „Aura des Aktionismus“ gut entgegenwirken, welcher tödlich für jede Diskussion sei. Thomas Lindner merkte an, dass Richtlinien für Journalisten notwendig wären, um Subjektivismus entgegenzuwirken. Diese repräsentierten immer hin auch die Zeitung, für welche sie arbeiten. Das Kernproblem liege jedoch an der Geschwindigkeit und dem Druck der Berichterstattung: Eilmeldungen müssten in Konkurrenz zu sozialen Medien sofort veröffentlicht werden. Zeit für akkurate Recherche sei hier nur wenig. Dies mache jedoch Qualitätsjournalismus aus. Es sei wieder Zeit für kontroverse Diskussionen ohne gezwungenen Konsens. Jeder habe eine individuelle Meinung und es wäre somit falsch immer eine Art „heile Welt Gedanken“ verbreiten zu wollen.